Interview mit Felix Wilbertz (Psychologe)

Dass ich vor einiger Zeit mit meinen Ängsten und Sorgen bezüglich der Klimakrise zu kämpfen hatte, habe ich hier beschrieben. Um besser zu verstehen, welche Gefühle die Beschäftigung und auch die Konfrontation mit der Klimakrise in uns Menschen auslöst, habe ich mich an Felix Wilbertz gewandt. Felix ist klinischer Psychologe für Kinder und Jugendliche und ist bei den Psychologists4future aktiv. Daher habe ich ihn angefragt, ob er mir einige Fragen zum Thema Klimaangst beantworten kann und er hat sich zu meiner großen Freude die Zeit genommen, mir meine Fragen zu beantworten. Die Fragen habe ich so weit wie möglich gefasst, damit ein wirklich gutes Spektrum abgedeckt werden konnte. Ich wünsche viel Spaß bei der Lektüre.

Klimaangst und der Umgang damit

  1. Gibt es einen Unterschied zwischen der Angst vor den Folgen des Klimawandels/Klimaangst und anderen Angststörungen, die du behandelst?

Zunächst ist es hier generell wichtig, zwischen „gesunder Angst“ und „pathologischer Angst“ zu unterscheiden. Angst ist ein sehr zentrales, (überlebens)wichtiges Gefühl, was uns vor Gefahren (z.B. bissiger Hund) warnt und körperlich aktiviert, um mit diesen Gefahren umzugehen (meist Flucht oder Kampf, wenn das nicht möglich ist auch: Erstarren). Angst kann aber einer Situation unangemessen sein, z.B. zu stark wie ein Panikattacke. Dann verliert Angst die hilfreiche Funktion, lähmt uns eher. Wir fangen an, mögliche Angstauslöser zu vermeiden (gar nicht mehr aus dem Haus gehen, ich könnte ja auf einen Hund treffen), was uns dann erheblich einschränken und belasten kann. Dies trifft auch alles auf Klimaangst zu. Zunächst ist dies keine Diagnose, keine psychische Störung, sondern eine normale, angemessene Reaktion auf eine reale Bedrohung/Gefahr. Sie kann uns zu sinnvollem Handeln motivieren (persönlichen ökologischen Fußabdruck minimieren, ehrenamtliches, politisches Engagement etc.) Aber auch eine Klimaangst kann natürlich zu stark werden und ihre hilfreiche Funktion verlieren. Übertragen auf die typischen Angstreaktionen wäre das z.B.:

  • Erstarren: „Was kann ich alleine schon ausrichten, die Welt wird eh zugrunde gehen.“
    • Flucht/Vermeidung: „Wetterveränderungen hat es schon immer gegeben. So schlimm wird es nicht.“
    • Kampf: Entweder Aktivismus (kann natürlich gut und hilfreich sein, aber auch zu viel werden, in extremen Formen, die zu Selbstaufopferung und depressionsähnliche Burn-out-Zustände führen kann, (s.  activist burn-out)
      Oder aus Sicht von Klimaskeptiker*innen: Kritik an Umweltaktivisten, „Kampf gegen die „Klimadiaktatur“, gegen die, die uns Angst machen wollen.“

Bei der Klimaangst besteht das besondere Probleme, dass uns die Angst zwar vielleicht zunächst motiviert zu handeln, die Klimakrise aber ein so großes, komplexes und globales Problem ist, dass uns unsere individuellen Handlungsmöglichkeiten zu gering vorkommen und so die Gefahr besteht, dass der Mensch sich zu hilflos fühlt, resigniert und vielleicht gar nichts macht. In der Therapie könnte es darum gehen ein Gleichgewicht zu finden, zwischen der Akzeptanz der Angst als angemessene Reaktion, die zu aktiven Handeln motivieren kann, aber auch Strategien zu suchen, dass die Angst nicht zu groß wird und uns lähmt.

  1. Begegnest du in deiner Arbeit Menschen, die mit Klimaangst so stark zu kämpfen haben, dass sie deine Hilfe benötigen?

Persönlich habe ich noch nicht direkt mit Patient*innen gearbeitet, bei denen ein starke Klimaangst der Vorstellungsanlass war. Allerdings arbeite ich mit Kinder- und Jugendlichen, nicht mit Erwachsenen. Vor allem bei jüngeren Kindern ist das Thema der Klimakrise natürlich noch nicht so präsent. Ich habe aber durchaus Kinder und Jugendliche in Behandlung, die durch das Erleben von Extremwetterereignissen (z.B. dem Hochwasser 2021 im Ahrtal) traumatisiert wurden und daher eine Behandlung aufgesucht haben (initiiert durch die Eltern).

  1. Wenn die Angst übergroß wird und sich Panik in mir ausbreitet – welche kurzfristigen Maßnahmen helfen mir, damit zurechtzukommen? Und welche langfristigen Strategien kann ich entwickeln, um mit diesen Sorgen und Befürchtungen konstruktiv umzugehen?

Versuche zunächst Verständnis für deine Gefühle aufzubringen. Oft ist es wichtig, Gefühle nicht zu pathologisieren. Die Situation bzw. die Krise ist das Ungewöhnliche, das „nicht normale“. Eine emotionale Reaktion darauf ist hingegen durchaus angemessen. Gefühle zu verdrängen wäre ungesund. Eine akzeptierende (statt einer ankämpfenden) Haltung, kann dem Gefühl schonmal etwas Macht oder Belastung nehmen.

Dann könntest du dich fragen, was der Auslöser für diese jetzt extreme Angst ist. Hast du dich vielleicht besonders intensiv mit dem Thema beschäftigt (neue Dokus gesehen, Interviews gehört, Studien gelesen etc.)? Dann ist es wahrscheinlich hilfreich, etwas Abstand zu diesen Themen zu gewinnen. Es geht nicht darum, das Thema komplett zu verdrängen, sondern sich vielleicht ein paar Tage eine Auszeit zu nehmen. Bei kurzfristigen Maßnahmen ist es individuell sehr verschieden, was hilft. Das können Achtsamkeitsübungen sein, z.B. Atemmediationen, sich wieder im Hier und Jetzt verankern. Aber auch Sport, raus in die Natur oder den Austausch mit Freunden suchen, über die eigenen Gefühle und Ängste sprechen, fragen wie es bei diesen ist. Oder den eigenen Gefühlen anders Ausdruck verleihen, durch ein Aufschreiben von Gedanken und Gefühlen, kleinen Geschichten, ein Bild malen etc.

Langfristig könntest du versuchen, die Energie oder Anspannung der Angst in eine Motivation für ehrenamtliches, politisches oder sonstiges Engagement zu nutzen. Fragen könnten sein: Was will ich konkret tun? Wie will ich mich für eine bessere Zukunft engagieren? Die Vorteile sind, dass Engagement gegen Hilf- und Machtlosigkeit hilft, dich mit Gleichgesinnten verbindet, Sinn stiftet und so zu einem werteorientierten Leben beiträgt.

  1. Ich lebe relativ klimabewusst, aber das reicht nicht, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Mein Einfluss auf mein Umfeld ist nicht unendlich groß. Gleichzeitig weiß ich, dass uns harte Zeiten bevorstehen, kann aber nicht so viel Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, um das abzumildern. Wie kann ich mit dieser Hilflosigkeit und dem Ausgeliefertsein umgehen?

Hier würde ich auch nochmal auf das persönliche Engagement verweisen. Wer aktiv handelt, empfindet sich meist als weniger hilflos oder ausgeliefert. Aber klar ist auch, dass man alleine nicht die Welt retten kann. Hier hilf auch ein Perspektivwechsel: Würde alles so laufen wie ich (oder eine andere Person) das möchte, würde man in einer Diktatur leben und hätte eine riesige Verantwortung. Man kann nur sein Bestmöglichstes tun und schauen, dass man selbst als kleines Zahnrad in einem größeren Gefüge zumindest in die richtige Richtung dreht

  1. Wie gehe ich mit schlechtem Gewissen um, wenn ich doch mal Billigfleisch kaufe oder mit dem Flugzeug in meinen sauer verdienten Urlaub fliegen möchte?

Selbstkontrolle oder Selbstdisziplin ist eine begrenzte Ressource, wenn wir uns selbst Regeln, Ge- oder Verbote auferlegen, kann das mitunter anstrengend sein und die Versuchung bzgl. einer Ausnahme kommt dann irgendwann auf. Es bringt dann nichts, sich selbst dafür zu sehr zu kritisieren oder abzuwerten, man kann es ja auch nicht mehr rückgängig machen. Aber wenn man dann ein schlechtes Gewissen hat, ist das ein Hinweis, dass man entgegen seiner eigenen Werte oder Einstellungen gehandelt hat. Dann kann man sich diese Werte und Gründe, warum man kein (Billig)Fleisch isst oder nicht fliegen will, nochmal bewusst machen. Es fällt oft leichter, wenn wir einen positiven Anreiz für unser Handeln oder auch Nicht-Handeln haben (wofür mache ich etwas?), anstatt es nur als Verbot anzusehen. Du kannst dich auch fragen, was das eigentliche Bedürfnis hinter deiner Kaufentscheidung ist. Ist es wirklich das Bedürfnis nach (billigem) Fleisch oder generell nach einem leckeren Essen, etwas Abwechslung, mal nicht das zu essen, was ich immer esse. Geht es wirklich um den Geschmack, gibt es ja mittlerweile auch hervorragende Fleischalternativen, die dem Original sehr nah kommen. Für Abwechslung, suche nach einem neuen Rezept oder belohne dich, z.B. indem du vielleicht häufiger in ein vegetarisches Restaurant gehst, von dem Geld, was du in einem Monat nicht für Fleisch ausgegeben hast.

Beim Fliegen ist es ähnlich. Überlege, was dein letzter schöner, erholsamer Urlaub war? Was hat diesen Urlaub so besonders schön gemacht? Meistens ist nicht das Entscheidende, dass der Ort möglichst weit weg von zu Hause und nur mit Flugzeug zu erreichen war, sondern eher das Rauskommen aus dem Alltag, neue Sinneseindrücke, das richtige Ausmaß an Ruhe oder Bewegung, die Menschen, mit dem man dort Zeit verbracht hat etc. Wenn du weißt, was für dich einen guten Urlaub ausmacht, kannst du schauen, wo du dies vielleicht auch ohne Flugreise umsetzen kannst. Wenn du zu dem Schluss kommst, dass dich z.B. wirklich außereuropäische Kulturen interessieren und man das nicht aufgeben will, dann finde ich es auch nicht verwerflich diese Reise bewusst zu unternehmen. Es muss ja vielleicht nicht jedes Jahr sein. Du kannst auch versuchen, dir lange Zeit zu nehmen für die Reise, z.B. mehrere Monate, vielleicht lässt sich dein Arbeitgeber bei Homeoffice Möglichkeiten darauf ein, dass du auch zeitweise von dort arbeitest. Für einen langen Aufenthalt kann man die Flugreise für sich meist besser annehmen, als für 1-2 Wochen.

  1. Manche Menschen müssen sich vor ihren Psychotherapeut*innen für ihre Klimaangst rechtfertigen und über das Menschengemachte am Klimawandel diskutieren. Was würdest du diesen Menschen, die oftmals auf die gute Arbeitsbeziehung mit ihren Therapeut*innen angewiesen sind, empfehlen? Und wie würdest du dieses Verhalten von Psychotherapeut*innen einordnen?

Das sollte meiner Meinung nach von therapeutischer Seite aus nicht passieren. Ich kann gut verstehen, dass sich Menschen dann nicht ernst genommen oder verstanden fühlen und dies natürlich negative Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung hat. Ich würde empfehlen, die eigene Verunsicherung oder Irritation offen anzusprechen, vielleicht kombiniert mit einem Wunsch an dein*e Psychotherapeut*in. Solltet ihr auch dann nicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen, macht ein Therapeut*innenwechsel vielleicht wirklich am meisten Sinn, da der Erfolg einer Psychotherapie maßgeblich von der Qualität der therapeutischen Beziehung abhängt.

  1. Was würdest du Menschen empfehlen, deren Angehörige mit Klimaangst zu tun haben?

Den Angehörigen sollte Verständnis entgegengebracht werden, die Angst nicht pathologisieren, sondern als angemessene Reaktion auf eine reale Bedrohung annehmen (s.o.). Das offene Gespräch über die Ängste, kann schon viel helfen, da die Betroffenen nicht mehr alleine mit ihren Ängsten sind. Vielleicht ist es möglich, aus der Angst eine Motivation für ein ehrenamtliches/politisches Engagement zu entwickeln (siehe Antwort auf Frage 3, positive Effekte des aktiven Handelns). Es kann auch auf niederschwellige Beratungs- oder Unterstützungsangebote verwiesen werden, entweder allgemeiner Art wie die Telefonseelsorge (0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222, auch Chat möglich) oder themenspezifisch, z.B. bei den PsychologistForFuture (https://www.psychologistsforfuture.org/unterstuetzung-fuer-engagierte/). Bei anhaltender Belastung durch die Klimaangst würde ich auch zur Vorstellung bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin raten. Jede Psychotherapie beginnt mit einer sogenannten Probatorik, das ist eine Art Kennenlernzeit, wo beide Seiten schauen, ob die persönliche Chemie stimmt und ob tatsächlich ein Bedarf für eine psychotherapeutische Behandlung vorliegt oder nicht, also die Angst vielleicht wirklich ihre hilfreiche Funktion verloren hat und pathologisch geworden ist.

Bonusfrage, da nicht mit Klimaangst verknüpft:

Für uns westliche Menschen ist eine Absenkung des Lebensstandards unabdingbar. Wieso scheint es für viele Menschen unzumutbar zu sein, auf gewisse Privilegien (Urlaubsfernreisen, schnelles Autofahren, täglich Fleisch) zu verzichten?

Diese Privilegien oder der Konsum führen bei uns zu einer unmittelbaren Belohnung, die auch neurobiologisch über Botenstoffe im Gehirn wirksam ist. Diese Belohnung ist meist sofort da und daher stark verhaltenswirksam, das heißt, sie führt dazu, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, das gleiche Verhalten wieder zu zeigen. Die negativen Konsequenzen unseres Verhaltens sind hingegen oft sehr abstrakt, liegen in ferner Zukunft oder betreffen uns einfach nicht so stark wie z.B. Menschen in anderen Regionen der Erde. Diese negativen Konsequenzen sind also nicht so verhaltenswirksam. Hinzu kommt, dass wir „Gewohnheitstiere“ sind, wir gewöhnen uns schnell an unsere Privilegien (z.B. Wie lange empfindet man neue Schuhe oder ein neues Handy als etwas Besonderes?). Irgendwann reicht der Urlaub in Spanien nicht mehr aus und es muss Südamerika oder Asien sein. Wir Menschen sind teilweise einfach evolutionsbedingt darauf aus, dass es uns heute bzw. in der unmittelbaren Zukunft gut geht. Für unsere Vorfahren hatte das Leben zu viele Unwägbarkeiten oder Risiken, das tägliche Überleben stand im Vordergrund, sodass das heutige Handeln nicht auf die Zukunft in vielen Jahren ausgerichtet werden konnte. Zumindest in der westlichen Welt ist das tägliche Überleben für die meisten Menschen zum Glück kein besonderes Problem mehr, sodass wir uns diesen „Luxus“ leisten können und sollten, die langfristigen Konsequenzen unseres Handelns im Blick zu halten und entsprechende Ziele zu verfolgen.

Vielen Dank an Felix für das Interview und insbesondere für die ausführlichen Antworten! Ich habe mich sehr gefreut, dass er sich die Zeit genommen hat.

Herzlichen Dank an Felix für das Interview! Für mich waren da einige Augenöffner dabei. Dass Menschen sich durch ihre Privilegien belohnt fühlen (der angenehme Weg zur Arbeit im Auto, statt sich in die überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel zu zwängen, das leckere Fleisch statt einem Tofuschnitzel) erklärt auch, warum sie nicht auf die Privilegien und die damit einhergehenden angenehmen Gefühle verzichten wollen. Das ist ein Thema innerhalb der Klimakommunikation, dem mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Es geht oftmals um eine Verbesserung der Lebensqualität, wenn Klimaschutzmaßnahmen gefordert werden. Da muss deutlich werden.

Im Folgenden findet ihr noch einen Link zu einer PDF zum Umgang mit Klimagefühlen von den Psychologists4future. Verschiedene Strategien und Techniken wie Fragen an sich selbst, helfen dabei, aus überbordenden Gefühlen wie Angst, Wut, Ohnmacht herauszukommen und einen anderen Umgang mit diesen Gefühlen zu finden:

20-04_Psy4F-Klimaresilienz-14-Strategien-13.1.2020.pdf (psychologistsforfuture.org)

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